Interview

Woher kommen Ihre Ideen?
Marion Bernhardt

Der Trieb, auf Naturmaterialien zu malen, greift in meine Kindheit zurück. Da habe ich zum Beispiel Steine gesammelt und bemalt. Auch im biologischen Labor habe ich viel später Taschentücher mit blauer Tinte bemalt und dann unter dem Binokular beobachtet. Es ist das Interesse an der Naturbeobachtung, das Staunen über die Schöpfung, das hinter meinen Experimenten steht.

Wie haben Sie Ihr Alleinstellungsmerkmal entdeckt?
Marion Bernhardt

Es hat viele Jahre gedauert, in denen ich immer noch mehr studieren und lernen wollte. Als ich zum ersten Mal unter dem Binokular malte, wusste ich: jetzt bin ich bei mir selbst angekommen. Dieses Medium gibt mir die Freiheit, eigene Wege der Gestaltung zu gehen.

» Mikromalerei ist ganz nah am Geschehen, zum Beispiel wenn die an sich unsichtbaren Papierfasern plötzlich durch einen Tropfen Tusche sichtbar werden. «

Was war zuerst da: die Mikromalerei oder die herkömmliche Malerei?
Marion Bernhardt

Zuerst habe ich 45 Jahre meines Lebens makroskopisch gemalt. Zunächst war das Malen unter dem Binokular nur eine Idee. Als Wissenschaftlerin hielt ich diese Idee für eine Spielerei. Erst 2018 begann ich ernsthaft, „präparatorisch“ zu malen, d.h. ich habe die Präparationspinzette (Mikropinzette) im Labor der Neurophysiologie der Universität Konstanz mit dem Pinsel vertauscht.

Muss man für die Mikromalerei nicht eine ruhige Hand haben?
Marion Bernhardt

Ja, durchaus. Deshalb ist meine Mikromalerei auch das Erste, was ich nach dem Aufstehen am Morgen betreibe. Dann bin ich in der Lage, selbst exakte Porträts ins Bild zu setzen. Am Nachmittag gelingt manches nicht mehr so leicht.

Warum Mikromalerei?
Marion Bernhardt

Mikromalerei ist ganz nah am Geschehen, zum Beispiel wenn die an sich unsichtbaren Papierfasern plötzlich durch einen Tropfen Tusche sichtbar werden. Es berührt mich, zum Beispiel auf zarte Blütenblätter, auf Zwiebelhaut oder auf Lauch zu malen. Die besonderen Träger sind wesentlicher Bestandteil meiner Kunst. Bei jedem neuen Material überschreite ich wieder eine neue Grenze. Wertloses Material wird durch das Bemalen zur Kostbarkeit. Das reizt mich. Auch Aquarelle auf fragilen getrocknete Rosenblättern haben ihre eigene Ästhetik, die ich mit meiner mikroskopischen Kamera einfangen kann.

Ist Mikromalerei spirituell?
Marion Bernhardt

Die Größe des Schöpfers ist im Allerkleinsten sichtbar, zum Beispiel im Samen eines Löwenzahns. Wenn ich eine Figur in der gleichen Größe zeichne, dann bin ich deren Schöpferin. Das wird niemand bestreiten. Aber wer ist dann der Erschaffer dieses wunderbaren Samens, aus dem eine ganze Löwenzahnpflanze hervorwächst, die lebt und sich fortplanzt? Diesem Gedanken spüre ich bei jedem Mikrogemälde nach.

Was kennzeichnet Sie als Künstlerin?
Marion Bernhardt

Ich schaffe Bilderserien, in denen ich ein Thema vertiefe und entfalte. Für mich gehören Kunstschaffen und soziale Verantwortung zusammen. Mein Arbeiten ist von sozio-kulturellem und pädagogischem Engagement geprägt, d.h. ich fördere gerne Menschen durch mein Kunstschaffen. Das Schreiben über meine Bildthemen, das Erklären der Bildzusammenhänge ergänzt meinen Schaffensprozess wesentlich. Wertevermittlung durch Events und Ausstellungen prägen meine Arbeit als Künstlerin. Da mein Vater als Mitarbeiter der Basler Mission, Religionslehrer und Theologe Glaubensinhalte durch Bilder vermittelte, bin ich von Kind an mit Kunst im Dienst der biblischen Botschaft geprägt worden. Kreativität und Kunstschaffen sind für mich Geschenke, die mir Gott in die Wiege gelegt hat und die in meiner Familie immer wertgeschätzt und gefördert wurden. Die Kunst der Völker hat mich früh beindruckt und geprägt.

Was kennzeichnet Sie darüber hinaus als Person?
Marion Bernhardt

Naturforscherin, Biologin, wissenschaftliche Illustratorin, Künstlerin, Ausstellungmacherin, Galeristin, Christin, Ikonenmalerin: das sind einzelne Schlagworte zu meiner Person. Als Ehefrau habe ich 2017 mit meinem Ehemann Martin die Galerie Bernhardt in Tuttlingen gegründet. Fotografie als gemeinsames Hobby, Tanzen, Singen im Stadkirchenchor Tuttlingen und Gemeindeleben sind weitere Ausprägungen meines abwechslungsreichen Lebens. Soziale Verantwortung trage ich auch für meinen Bruder, welcher nach einem Verkehrsunfall Schädelhirnpatient ist.